Die Zirbelkiefer, Einzelkämpfer im Hochgebirg'
Arve, Zirbe, Zirbel oder Zirm?
Der botanische Name Pinus cembra leitet sich vom italienischen "cembro" ab, das für Zirbelkiefer steht. Der Name Arve stammt aus dem schweizerischen Sprachgebrauch, im tirolerischen und bayerischen Sprachraum herrscht der Name Zirbe, Zirbel oder Zirm vor.
Die Zirbelkiefer wächst äußerst langsam und wird stattliche 20 bis 30 Meter hoch. Einzelne Exemplare der Zirbelkiefer sollen ein Alter von 1000 Jahren erreichen können.
Die dunkelgrünen, biegsamen Nadeln der Zirbelkiefer werden fünf bis zehn Zentimeter lang und stehen in Büscheln zu je fünf Nadeln gedrängt zusammen. Die Nadeln können bis zu 12 Jahre an einer Zirbe verbleiben. Männliche und weibliche Blüten kommen auf einem Baum gemeinsam vor, so daß eine Selbstbefruchtung möglich ist, wichtig in isolierten Lagen der Alpen.
So langsam wie die Zirbe wächst, so spät trägt sie die ersten Blüten, frühestens ab einem Lebensalter von 40 Jahren. Aus den weiblichen Zapfenblüten entstehen die sogenannten Zirbelnüsse, die große, essbare Samen enthalten.
Die Zirbelkiefer bildet als junger Baum eine Pfahlwurzel aus, diese wird beim weiteren Wachstum von weit reichenden Seitenwurzeln ersetzt. Die weit verzweigten und tief dringenden Seitenwurzeln verankern den Baum in Gesteinsspalten und geben ihm Halt.
Heil- und Nutzpflanze Zirbelkiefer.
Die Zirbe widersteht den ärgsten Witterungseinflüssen und hilft dem Menschen, ebensolche Lebensumstände durchzustehen. Das Zirbelkiefernöl reinigt die Raumluft, stärkt die Widerstandskraft und gilt als Prophylaxemittel gegen Erkältungskrankheiten.
Zirbelkiefernöl hat eine Vielzahl von positiven Eigenschaften, so wirkt es antiseptisch, entkrampfend, schleimlösend bei Bronchitis, schmerzlindernd bei Rheuma und durchblutungsfördernd bei Muskelkater. Als Duftessenz macht Zirbelkiefernöl einen Saunagang zu einem wahren Jungbrunnen.
Der Zirbengeist ist ein hochprozentiges Genussmittel, bei dem mehrere Zirbenzapfen einige Wochen in Schnaps eingelegt werden und dem Zirbengeist seine typische dunkelbraune bis rötliche Färbung verleihen.
Sehr geschätzt wird das Holz der Zirbelkiefern für den Innenausbau, als Möbelholz und für Wandtäfelungen. Noch nach vielen Jahren verströmt das Zirbelholz seinen unverwechselbaren Duft. Wer je in einer Küche oder einem Wohnzimmer aus Zirbelholz in gemütlicher Runde gesessen ist, wird dies bestätigen.
Die Arve, ein Baum des Hochgebirges.
Die Zirbelkiefer ist eine geschützte Baumart, von der es in den Alpen nur noch kleine, zusammenhängende Bestände gibt.
Arven wachsen in Berghöhen von 1.100 m bis 2.800 m und lassen im wahrsten Sinne des Wortes alle anderen Bäume unter sich. Nur die Zirben halten die strenge Witterung der alpinen Hochlagen aus; sie gelten als die frosthärteste Baumart der Alpen.
Die natürlichen Zirbenbestände sind in den letzten zwei Jahrhunderten vielerorts leider durch zu starke Abholzung, sich ständig ausdehnenden Weidebetrieb auf Hochalpen und durch das Sammeln der eßbaren Zirbelnuss-Samen dezimiert worden.
Die Arve, ein Widerstandskämpfer.
Wer auf einer Bergtour mit offenen Augen durch die seltenen Bestände eines Arvenwaldes wandert, ist unweigerlich fasziniert von den wild zerzausten und verdreht gewachsenen Baumgestalten. Gleich ob Arve, Zirbe, Zirbel oder Zirm, diese Bäume sind ein Zeichen ungebrochenen Lebenswillens in der lebensfeindlichen Welt des Hochgebirges.
Ein Ausflug in die Bergwelt der Arven ist beschrieben auf der Seite Aifner Alm - Aifner Spitzen; dort in den Ötztaler Alpen sind auch die hier abgebildeten Fotografien entstanden.
Schützen und pflegen wir die letzten Arvenbestände der Alpen! Das untenstehende Gedicht "Tamangur" des Engadiner Dichters Peider Lansel möge uns Vorbild sein. In Tamangur drohte der gesamte Arvenbestand zerstört zu werden durch Raubbau des Menschen an der Natur.
30. August 2010, Sigmund Haider
Bildnachweis © by bergschreiber.com
Tamangur
Zuhinterst im Scarltal – da wo aufhört
jeder andere Wald – an einem Hang gen Osten
stehen etliche sehr alte Arven
von Alter und Stürmen zerfetzt.
Solche Schar sonst nirgends zu finden ist,
Überbleibsel eines Waldes, genannt: Tamangur.
Früher bedeckte sicherlich dieser
Hänge und Gräte, die wir heute kahl sehen;
Jahrtausende vergingen, und wiewohl
Blitze brannten und Schnee wuchtete,
behielt doch das Leben den Sieg
und liess Tamangur durch und durch ergrünen.
Doch, als der Mensch Schatten lediglich zerstörte
ohne jegliche Rücksicht auf das Nachher,
da kamen Lawinen und Schlipfe heran.
Die Luft immer rauer ward, so dass
die Bäume nicht mehr zur Reife ihre Zapfen brachten,
und abwärts ging’s dann mit Tamangur.
Sich wehrend bis zuletzt, nach und nach,
die Arven, eine um die andere, wie starke Soldaten,
die auf dem Schlachtfeld gefallen sind,
am Boden verfaulten langsam. –
Und Hilfe immer noch nicht kommt! Wehe!
Es wird vergehen bis zum Namen Tamangur.
Dem alten Wald, der nach und nach zerfällt,
gleicht sehr unsere liebe Sprache,
die aus dem einstigen, weiten Raum
in die heutigen, engsten Grenzen zurückgedrängt ist.
Wenn die Rumantschen nicht alle ihre Pflicht tun,
wird es mit ihr aus sein, wie mit Tamangur.
Wie dürften wir vergessen, dass sie von altersher
wusste unsere Alten zu leiten und zu führen?
Eine Erbschaft, die sie stets hochhielten…
Schande über uns, liessen wir sie fahren!
Halten wir zum Unsrigen, wie andere zum Ihrigen,
und bedenken wir das Ende von Tamangur!
Nur nicht lugg lan! Niemand wird nehmen können
dem rumantschen Stamm sein stärkstes Recht,
das ist: aufrecht zu erhalten innert seiner Mark
heut und immerdar seine Herzenssprache.
Rumantschen heran! – rettet durch eure Liebe
unsere Sprache vor dem Tode Tamangurs!
Peider Lansel, Engadiner Dichter (*15. August 1863, + 9. Dezember 1943)
(NZZ, Ausgabe 13.02.1938)
Original des Gedichtes über den bedrohten Arven-Wald von Tamangur in Rätoromanischer Sprache:
Tamangur
Aintasom S-charl (ingio sun rafüdats
tuots oters gods) sün spuonda vers daman,
schi varsaquants veidrischems dschembers stan
da vegldüm i strasoras s-charplinats.
Tröp sco l’ingual nu’s chatta plü ninglur,
ultim avanz d’ün god, dit: «Tamangur.»
Da plü bodun quel sgüra cuvernet
costas e spis cha bluots uossa vezain;
millieras d’ans passettan i scumbain
ch’ardênn sajettas e cha naiv terret,
ha tantüna la vita gnü vendschur
i verdagià trasoura Tamangur.
Mo cur umbras l’uman gnit be sdrüand
sainza ningün pissêr sün il davo,
schi lavinas e boudas s’fettan pro.
L’ajer dvantet vi’e plü crü, fintant
nu madürênn plü’ls bös-chs las puschas lur
i daspö quai al main jet Tamangur.
As dostand fin l’ultim, in davo man
ils dschembers ün ad ün, sco schlass sudats
chi sül champ da battaglia sun crodats,
per terra vi’smarscheschan plan a plan. –
Id ajüd chi nu vain bainbod – Dalur! –
svanirà fina’l nom da Tamangur.
Al veider god, chi pac a pac gnit sdrüt
sumeglia zuond eir nos linguach prüvà,
chi dal vast territori d’üna jà
in usché strets cunfins uoss’es ardüt.
Scha’ls Rumanschs nu fan tuots il dovair lur,
jaraj’a man cun el, sco Tamangur.
Co invlüdessans, ch’el da seculs nan
savet noss vegls da redscher i guidar?
Jerta ch’adüna tgnettan adachar,
varguogna bain! sch’la dessans our da man.
Tgnain vi dal nos, sco’ls oters vi dal lur
e’ns algordain la fin da Tamangur.
Be nö’dar loc! – Ningün nu podrà tour
a la schlatta rumanscha ‘l dret plü ferm,
chi’d es quel: da mantgnair dadaint seis term
uoss’id adüna, seis linguach dal cour –
Rumantschs dat pro! - spendrai tras voss'amur
nos linguach da la mort da Tamangur.
Quellennachweis peiderlansel.ch
Besonderer Dank gilt
Herrn lic. phil. Rico Valär
Universität Zürich
Romanisches Seminar